Im Neuwirt in Wattens wächst seit 2020 ein regionales Kultur- und Gemeinschaftshaus. Der Kulturverein Grammophon hat damit einen Rahmen geschaffen, in dem historische Fäden weitergeknüpft werden und neues zivilgesellschaftliches Engagement entstehen kann. Im Kern steht die Frage: Was ist ein Gasthaus im 21. Jahrhundert?
Gegründet wurde Grammophon 2009 als Folge eines Abrissfestes namens Wiesenrock. Dieses wurde im Laufe der Jahre nicht nur für sein hochkarätiges Line Up bekannt (Bilderbuch, Wanda, Voodoo Jürgens, Käptn Peng uvm.), sondern besonders auch für seine konsequent nachhaltige Ausrichtung.
Von Anfang an war Grammophon das ganze Jahr über kulturell aktiv und hielt dabei stets Ausschau nach Orten mit Atmosphäre. Nachdem Wiesenrock nach zehn Jahren an den Nagel gehängt wurde, begann der Kulturverein ab 2020 damit, im alten Festsaal des Gasthofes Neuwirt ein regionales Kultur- und Gemeinschaftshaus zu entwickeln. Alexander Erler ist nicht nur bei sonntagplus aktiv, sondern hat Grammophon und Wiesenrock mitgegründet und spielt auch im Kultur- und Gemeinschaftshaus eine zentrale Rolle.
Der Neuwirt – ein alter Ort mit Zukunft
Der Neuwirt-Saal wurde 1909 gebaut. 1952 abgebrannt und sogleich wieder aufgebaut, hat er sich seinen alten Charme bis zum heutigen Tag bewahrt. Seit Anfang an war der Saal ein Mittelpunkt für das Wattener Dorfleben. Unzählige Bälle und Feiern haben hier stattgefunden, viele Menschen erinnern sich noch lebhaft an die legendären Stunden im Neuwirt.
Während das Gasthaus nach wie vor vom Eigentümer und Wirt betrieben wird, ist der Saal Ende der 1990er in einen Dornröschenschlaf gefallen. Dann trat Grammophon auf den Plan. Seit 2020 bringt der Verein diesen geschichtsträchtigen Ort zurück ins Dorfleben. Pro Jahr finden rund 150 öffentliche Termine im Neuwirt statt. Grammophon bespielt den Saal aber nicht in einer nostalgischen Stimmung, sondern richtet den Blick besonders auf gegenwärtige und zukünftige Fragen des Zusammenlebens. Inhaltlich haben sich dafür drei Zweige herausgebildet.
Im Zweig „Veranstaltungen“ geht es darum, Kultur niederschwellig zu „konsumieren“ und dem Zauber des Augenblicks zu frönen. Grammophon veranstaltet im Saal Konzerte, aber auch andere Vereine kommen mit ihren Veranstaltungen in den Neuwirt. Grammophon organisiert viele weitere Anlässe, die einen Raum für Begegnung und Austausch schaffen: Jam Sessions, Vorträge, Radwerkstätten oder die Videoreihe „Neuwirt Spielereien“, bei der ein immer anderer Neuwirt-Winkel die Kulisse bietet.
Der Zweig „Mitmachen“ ist die Einladung an Menschen, sich im Haus und Verein aktiv einzubringen. Zum Beispiel, indem sie bei Veranstaltungen die Bar betreuen oder sich in einem der verschiedenen Arbeitskreise – wie etwa im Gartenteam – einbringen. Im Jahr 2022 verzeichnete Grammophon 170 Mitglieder, von denen sich rund 80 aktiv einbrachten und dabei 2.500 unbezahlte Arbeitsstunden leisteten.
Im Zweig „Projekte“ will Grammophon Dinge anstoßen, die über das Haus hinauswirken und hinein ins Dorf und in die Region. Es geht um nachhaltige Entwicklung, die von den Menschen selbst getragen wird. Das kann sich so äußern, dass Bürgerinnen auf einer öffentlichen Grünfläche Gemüse anbauen, das Permakultur-Prinzipien folgt und von allen geerntet werden kann. Oder dass der Radfahrclub Wattens nach 120 Jahren neu gegründet wird, diesmal mit dem Ziel einer radfreundlichen Gemeinde. Es kann sich auch so ausdrücken, dass sich Menschen einmal im Monat im Neuwirt treffen, um bei „Müllspaziergängen“ die benachbarten Plätze, Gassen und Grünflächen von Abfall zu befreien.
Regionalentwicklung mit Soziokultur
In das Konzept des Kultur- und Gemeinschaftshauses floss das Wissen aus fünfzehn Jahren Kulturarbeit ein. Was mit dem Abrissfest seinen Anfang nahm und sich zu einem renommierten nachhaltigen Festival entwickelte, ging schließlich über in eine erweiterte Kulturarbeit an einem festen Ort. Im Neuwirt lebt Grammophon Werte, die über einen langen Zeitraum entstanden sind: gute Gastfreundschaft, eine gemeinschaftliche Arbeitsweise, die Förderung von zivilgesellschaftlichem Engagement, ein wirkungsvolles Zusammenspiel von Ehrenamt und Hauptamt sowie die Integration von Klima-, Natur- und Umweltthemen in die lokale Kulturarbeit.
Ein Kultur- und Gemeinschaftshaus in eurer Gemeinde?
Ihr habt ein besonderes Haus in eurer Gemeinde und wollt daraus einen gemeinschaftlichen Ort machen, der Kultur, Natur und Klima zusammenbringt? Lasst uns reden! 🙂